Spricht man vom Sein an sich und versucht ihm eine
Eigenschaft beizulegen, so kann man nur sagen, daß Sein dasjenige ist was ist.
Und wenn man zusammenfassend von dem Sein als Gesamten spricht, so hat dies
eine allumfassende Bedeutung. Das Sein ist alles, was ist. Außer dem Seienden
gibt es nichts. Ein Nicht-Sein dagegen hat kein Sein, ist nicht existent. Von
einem Nicht-Sein zu sprechen, ist daher nicht möglich.
Dem wird des öfteren entgegnet, daß man doch Dinge
vorstellen könne, die es nicht gibt. Dem soll nicht widersprochen werden, doch
man kann einem vorgestellten Nicht-Existenten nicht ein Sein zusprechen.
Frieden auf Erden ist nicht. Aber man kann sich vorstellen, daß es Frieden
geben könnte. Gewiß, aber man kann dem nicht-seienden Frieden nicht eine
Existenz nachsagen, sondern nur eine Nicht-Existenz.
Hat Sein Anfang und Ende?
Man muß sich wohl damit abfinden, daß es nur ein
Sein gibt und daß dieses Sein nicht irgendwie aus einem nebulösen Nicht-Sein
hervorgegangen sein kann, sondern daß dieses Sein ewiger Natur ist, aber durch
verschiedenste Formen und Entwicklungen hindurchgeht. Und so wird kein Seiendes
in der jetzigen Form verbleiben, sondern seine Erscheinung verändern, sich
absondern, emanzipieren, sich mit Anderem vereinen oder von diesem assimiliert
werden. Das Seiende ist in Entwicklung. Aber die Entwicklung hat zwei
Richtungen, eine aufstrebende und eine abwärtsstrebende. Die aufstrebende
stützt sich gewissermaßen auf die abstrebende und nimmt auf höherer Stufe die
abgestiegenen Wesen wieder in sich auf.
Welchen Sinn hat das Ganze?
Zwar können wir innerhalb des Seienden den Sinn
einzelner Teile bzw. Erscheinungen dieses Seins erfassen, doch können wir den
Sinn des gesamten Seins nicht erfassen. Die Frage nach dem Sinn des Ganzen ist
nur ein Mißverständnis. Denn ein Sinn ist stets nur der Zusammenhang einer
Einzelheit mit einem Ganzen. Insofern aber läßt sich der Sinn des gesamten
Seins nicht ermitteln, weil wir außer dem Gesamten nicht noch ein anderes oder
höheres Gesamt-Sein haben und somit auch keinen Zusammenhang mit etwas anderem
ermitteln können. So wie unser Verstand stets nach einen Anfang und einem Ende
des Seins fragen muß, so meint er auch dem Gesamtsein einen Sinn beilegen zu
müssen. Doch man entlarvt den Verstand, wenn man sein Fragen nach Anfang und
Ende beobachtet. Denn kaum hat man einen Anfang oder ein Ende beschrieben, so
fragt der Verstand: Und was war davor? bzw. Was folgt dem nach? Es ist ein
Zeichen der Begrenztheit unseres Verstandes, der zum Erfassen der höheren
Zusammenhänge nicht geeignet ist. Höhere Zusammenhänge bedürfen eines höheren
Denkens, um erfaßt zu werden.
Die Erscheinungsform des Seienden ist die des
Wesens. Jeder Bestandteil des Seins ist ein in sich geschlossenes Wesen, eine
Art Organismus, der wiederum Teil höherer Organismen sein kann. Ein Organismus
ist seinerseits ein Wesen aus mehreren zusammenarbeitenden Wesen. Und so wie
die Menschheit aus einigen Milliarden Menschen besteht, die zur Zeit alles
andere als harmonisch zusammenleben, so ist doch die Menschheit insgesamt
wiederum ein Wesen, das in der Welt seine Entwicklung und seine Aufgaben hat.
Und so können wir den Begriff des Wesens in der Weise fassen, daß wir sagen:
Ein Wesen ist eine selbständig sich darlebende Seins-Einheit. Eine charakteristische
Form und Funktion des Daseins. Rein sachliches Sein existiert nicht. Alles ist
wesenhaft – so geht es aus der Wissenschaft des Geistes hervor. Der Grund,
weshalb man dies so nicht wahrnimmt, liegt im Materialismus, der davon ausgeht,
daß alles Sein aus eine Nicht-Sein hervor-gegangen ist und sich zufällig
entwickelt hat. Man glaubt, daß durch den Urknall plötzlich aus dem Nichts
lauter tote Materie entstanden ist, die sich dann irgendwann in lebende Materie
verwandelt hat. Doch diese Annahmen sind Phantasien, die sich mit allerlei
Berechnungen und Messungen begründen lassen, die aber keinerlei Sinn zu
erkennen geben. Sämtlicher Stoff ist Rückstand ehemaligen Lebens. Leben aber
ist das sich Ausbilden eines Wesens in der physischen Materie. Nicht wird tote
Materie belebt, sondern lebendige Materie wird neu geschaffen und stirbt irgendwann
ab, um als Schlacke nachzubleiben, wenn sich das Wesen wieder zurückgezogen hat
in die höheren Welten.
Das Leben ist also die Schaffung und Benutzung
eines physischen Leibes, in welchem ein Wesen sich in der physischen Welt zu
entwickeln sucht. Das Wesen "Mensch" schafft sich einen materiellen
Leib um in ihm in der physischen Welt sich zum frei wollenden,
eigenverantwortlich handelnden Wesen zu erziehen. Dazu ist allerdings
nicht nur Leben erforderlich sondern auch Bewußtsein.
Unterhalb des Menschen in der Hierarchie der sich
entwickelnden Wesen gibt es diverse Kreaturen, die von ihrem Sein kein
Bewußtsein haben, die also nicht wissen, daß sie existieren. Dies ist z. b. bei
Tieren und Pflanzen der Fall. Das bedeutet nicht, daß sie nicht wunderbare
Dinge zu können oder zu schaffen vermögen, sondern nur, daß sie von all dem
kein Wissen haben. Der Biber kann seinen wundersamen Bau gestalten ohne daß er
ein Wissen davon hat. Es ist sein Instinkt, der ihn den Bau ganz sachgemäß
ausführen läßt. Man kann die Tiere zu allerlei Kunststücken erziehen, dennoch
wissen Sie nichts von diesen Kunststücken. Natürlich haben sie ein Gedächtnis,
doch das Tiergedächtnis merkt sich nicht die erklärenden Gedanken, sondern
die Reaktionen des Instinktes. Zwischen Wahrnehmung und Instinkt steht kein
erwägendes, denkendes Ich, wie beim Menschen.
Bewußtes und unbewußtes Sein
Mit dem Menschen beginnt eigentlich erst das, was
man ein bewußtes Sein nennen kann. Allerdings hat das Tier schon ein seelisches
Eigenleben dadurch, daß die Sinnesreize zusammen mit dem Gedächtnis die
instinktiven Reaktionen hervorrufen können. Dieses seelische Eigenleben der
Tiere kann man ein erstes niederes Bewußtsein nennen.
Der Mensch dagegen hat ein erweitertes Bewußtsein.
Er weiß von seinem Sein - man könnte auch sagen: sein Sein kennt sich. Und
damit hat der Mensch Selbstbewußtsein. Er erlebt, daß er es ist der dies und
das erlebt und der sich zu dem Erlebten in bestimmter Weise verhalten oder
stellen will. Auch er hat Instinkte, aber er hat ein denkendes Ich, welches die
Instinkte und Triebe bis zu einem gewissen Grad begrenzen und ersetzen kann.
Das erkennende Ich des Menschen steht höher als die Triebe, Begierden und
Instinkte und soll sich diese unterordnen im Laufe der Menschheitsentwicklung.
So stand am Beginn der Erdenentwicklung ein rein instinktives Menschenwesen,
welches am Ende der Erdenzeit alle Naturfunktionen in die Regie seines Iches
übernommen haben wird.
Das Sein bzw. das Seiende war also zunächst
geschaffen, um zu sein und sich zu entwickeln. Innerhalb dieser Entwicklung
trat dann das Bewußtsein auf. Das Seiende in Form z. B. der Menschen begann
etwas von der Welt zu bemerken und zu wissen. Und über diese ersten Formen des
niederen Bewußt-seins kam es dann zum Wissen vom eigenen Sein und zum
Bewußtsein des Bewußtseins, welches wir Selbstbewußtsein nennen. Das ist dann
nicht nur ein Sein, welches von seiner Existenz weiß, sondern welches weiß, daß
es von seiner Existenz weiß. Das ist das Wunder des menschlichen Ich.