Der Wille ist eine geheimnisvolle Kraft, welche im
Unterbewußten des Menschen lebt und von dort aus, sein Verhalten bewirkt. Da
aber der Wille nicht von materieller Natur ist, kennt die Wissenschaft den
Willen als solchen nicht, denn er läßt sich technisch nicht messen. Was man
allein kennt, sind die den Willen erläuternden Gedanken, die zusammen mit dem
Willen entstehen. Diese sagen uns, ob und was wir wollen, bzw. nicht wollen.
Von dem eigentlichen Willen, von der Tatkraft, hat der Mensch keine
Wahrnehmung, diese verläuft im Unbewußten. Und dennoch ist es der Wille, der
den menschlichen Leib bewegt unter Mithilfe der Muskulatur. Ohne ihn bekämen
die Muskeln nicht ihre Impulse zum An- und Entspannen. Er ist die eigentliche
Handlungskraft des Menschen.
Ohne Wille, keine Bewegung
Wenn mich z. B. ein Kollege fragt: Kommst Du mit
zum Essen? Dann würde ich vermutlich nicht lange überlegen und sagen: Ja, ich
komme mit und würde aufstehen, um mitzugehen. Bewußt ist mir davon nur der
Gedanke: Ja, ich will. Was ich nicht bemerke ist, daß mit diesem Gedanken ein
Willens-Kräfte-Schub durch meinen Leib geht. Wenn mein Kollege mich dann fragen
würde: Eben hast Du noch gesessen, wie hast Du es denn zustande gebracht, jetzt
neben mir zu stehen? Dann würde ich sagen: Ja, ich wollte doch mitkommen. Aber
damit würde ich sagen: Der Wille muß mich aus dem Stuhl getrieben haben, ohne
daß ich ihn selbst bemerkt hätte. Ich hatte eben nur den Gedanken, der zu ihm
gehört im Bewußtsein. Insofern ist der Wille tatsächlich eine geheimnisvolle
Kraft, denn wir kennen sie selbst nicht, wir kennen nur die den Willen
begleitenden Gedanken.
Es gibt keine motorischen Nerven
Die heutige Wissenschaft kennt den
Willen auch nur dem Namen nach, denn man geht davon aus, daß die Muskeln ihre
Kraft durch die sogenannten motorischen Nerven erhalten. Man unterscheidet
sensorisch und motorische Nerven und meint mit sensorischen jene, die
Sinnesreize an das Gehirn weiterleiten und stellt dann die motorischen daneben,
welche die Handlungs-Kraft an die Muskeln leiten sollen. Die geistige
Wissenschaft macht dagegen deutlich, daß es motorische Nerven nicht gibt,
sondern daß diese Nerven auch sensorischer Natur sind, und zwar würde man
durch sie die zu bewegenden Gliedmaßen spüren, was eine Voraussetzung für eine
jede Bewegung ist. Wenn ein solcher Nerv verletzt ist – so die Wissenschaft des
Geistes – wäre nicht etwa die Handlungs-Kraft unterbrochen, sondern das Spüren
der zu bewegenden Glieder. Denn Gliedmaßen können nur bewegt werden, wenn man
sie spürt.
Warum glauben wir nicht, was wir
erleben?
Der Wille ist wie das Denken und
Fühlen ein immaterieller seelischer Vorgang, eine seelisch-geistige Kraft, die
auf physische Weise nicht nachweisbar ist. Und es ist ganz unsinnig, zu
glauben, daß es keinen Willen gäbe, nur weil er nicht meßbar ist. Jeder Mensch
merkt doch, daß er Willen hat durch seine Gedanken: Ja, ich will – nein, ich
will nicht. Warum genügt uns diese selbstverständliche Beobachtung nicht, um
den Willen zu konstatieren? Denn auch das ist jedem klar: nicht die Muskelkraft
entscheidet darüber, ob ein Mensch viel oder wenig tut, sondern bis zu einem
gewissen Grad allein sein Wille.
Die Harmonisierung der Wollungen
Durch sein Wollen greift der Mensch
in die Welt ein und verändert sie. Er läßt starke Spuren seines Wirkens zurück
und bestimmt durch diese die Lebensbedingungen seiner Mitwesen, der Menschen,
Tiere, Pflanzen und Stoffe. Und insofern der Wille das Dasein anderer prägt,
trägt der Mensch die Verantwortung für seine Taten im positiven wie im
negativen Sinne. Er wird bei Bedarf zur Rechenschaft gezogen oder an seinem Tun
gehindert. Er wird aber auch für seine Taten belohnt, anerkannt oder gar verehrt.
Das öffentliche Staatsleben versucht die Wollungen der Menschen durch Gesetze
und Regelungen zu harmonisieren. Das Sozial-Wesen sucht Ausgleich zu schaffen für
entstandenes Ungleichgewicht. Der moralische Sinn des Menschen kann ermitteln,
welches Verhalten angemessen ist, doch allzuoft steht ihm der Egoismus im Weg,
den moralischen Impulsen zu folgen.
Zwei Quellen des Willens
Nun hat aber der Mensch zwei
Quellen des Wollens in sich. Die eine besteht in der unbewußten Natur, in den
Trieben, Begierden und Instinkten. Die andere ist das bewußte Wollen des
erkennenden Ich – dasjenige, was der Mensch erkanntermaßen will.
Sowenig der Mensch im naturgegebenen Wollen frei sein
kann, so sehr ist dies der Fall beim Ich-Willen, wenn er weiß, was und warum er
etwas will. Wenn nichts uns zwingt oder treibt und wir doch den Willen zu einer
Tat aufbringen, dann müssen wir in uns selbst den Antrieb suchen zu unserem
Tun. Dann tritt nicht die Natur in uns als Wollendes auf, sondern dann sind wir
es selbst. Wenn wir, wenn unser Ich etwas will, dann sind wir frei im Wollen.
Dann und nur dann sind wir freie Menschen. Das freie Wollen aber muß man anders
nennen als das unfreie. Und der einzige Name, der hier wirklich zutrifft ist
Liebe. Man handelt aus Liebe zur Tat, aus Liebe zum Resultat der Handlung. Denn
das ist der eigentliche Begriff der Liebe: der freie Wille.