Seele – der innere Spiegel
Keine körperlichen Vorgänge
Solange man den Geist nicht in seiner überphysischen Existenz anerkennt, wird man natürlich auch der Seele kein gesondertes immaterielles Sein zugestehen. Daher geht die Mehrzahl der Menschen davon aus, daß es sich lediglich um Funktionen des Gehirns und der Nerven überhaupt handelt, wenn von der Seele die Rede ist. Und es ist schon – ähnlich wie gegenüber dem Geist – etwas verwunderlich, daß diese Auffassung ohne Einspruch hingenommen wird. Denn das kann doch jeder merken, daß es sich bei seelischen Regungen nicht um Körperliches handeln kann.
Setzt man sich z. B. in die Sonne und beginnt zu schwitzen, dann ist das Schwitzen, der Schweiß, selbstverständlich physisch-körperlich. Doch die Empfindung der Wärme oder die der Nässe des Schweißes ist nicht körperlich, sondern seelisch. Und auch das sich möglicherweise anschließende Gefühl, daß es einem zu warm ist, kann doch nicht physisch sein, sondern ist ebenfalls rein seelisch, immateriell, überphysisch.
Vergleicht man jetzt das Schwitzen und die Wärmeempfindung, so wird deutlich, das Schwitzen ist körperlich-materiell aber die Empfindung der Wärme oder die der Nässe sind doch ganz etwas anderes. Sie sind nicht materiell, wie der Schweiß. Man wischt sich schließlich nicht die Empfindung von der Stirn sondern den Schweiß. Die Empfindung ist vielmehr eine Art Mitteilung, Information, Wahrnehmung. Das bemerkt eigentlich jedes Kind, und würde man uns nicht rein materialistisch erziehen und ausbilden, so würde niemand ernsthalft annehmen wollen, daß Seelisches und Geistiges physische Nerven-Vorgänge seien.
Natürlich sind die Nerven an diesen Vorgängen beteiligt, doch erzeugen sie keineswegs Empfindungen, Gefühle oder Gedanken. Die Nerven leiten die Sinnesreize an das Gehirn weiter, wo sie eingeprägt werden, um vorübergehend aufbewahrt zu sein. Doch der Sinnesreiz und das Eingeprägte sind nicht die Empfindungen, Gefühle oder Gedanken, sondern etwas, an dem die seelischen und geistigen Erzeugnisse erst entstehen. Der materielle Sinnesreiz ist Auslöser oder Ursache, doch Empfindungen, Gefühle und Gedanken sind immaterielle innere, das heißt seelische Erscheinungen. Sie tragen Inhalte seelischer und geistiger Art. Diese sind zwangsläufig immateriell.
Ideen und Gefühle sind immateriell
Nehmen wir den Gedanken eines PKWs. Der ganze PKW ist gebaut nach einer Idee. Er soll dem Transport von Menschen und Gütern dienen und vom Menschen individuell gesteuert bzw. verwendet werden. Alles an diesem Produkt unterliegt diesem Sinn. Der Sinn des PKW aber ist nicht materiell. Doch ohne diesen Sinn, ohne die Idee könnte es den PKW nicht geben.
Der Sinn bzw. die Idee ist geistig und kann nur in Form des PKW materiell werden. Schaue ich aber diese materielle gewordene Idee an, so kann ich die Idee, den Sinn nicht sehen, nicht materiell erfassen, sondern nur denken, das ist geistig erfassen. Denn der Sinn ist rein geistig. Und niemals kann der Sinn anders erscheinen als im Gedanken oder in verwirklichter Form als PKW. Ich kann den Gedanken nicht anders manifestieren als im gebauten PKW.
Wer nun glaubt, man könne doch den Gedanken aufschreiben, der vergißt, daß die aufgeschriebenen Worte doch nicht die Gedanken sind. Natürlich kann ich die Idee des PKW in Worte fassen. Aber die Worte sind nicht die Gedanken. Es sind lediglich Zeichen oder Namen für bestimmte Gedanken. Das Wort Personen-Kraft-Wagen ist doch nicht die Idee des PKWs. Das Wort ist bloß ein Name für einen Gedanken, für ein Ideen-Konglomerat oder Ideen-Organismus. Noch deutlicher wird dies an einem Gefühl, welches man schon kaum noch in Worten ausdrücken kann. Gefühle teilen mir meinen Zustand gegenüber bestimmten Objekten oder Situationen mit. Das ist nicht physisch. Und auch wenn man meint, man könne durch Hormone oder Drogen bestimmte Gefühle erzeugen. Ja gewiß kann man das, auch wenn dies nicht sinnvoll ist, denn das Gefühl soll ja eine Realität abbilden und nicht manipuliert werden. Was nützt es meinem praktischen Leben, wenn ich mir durch die Einnahme von Heroin das Gefühl eines großen Sieges, einer gewaltigen Leistung zufüge, wenn dies doch gar keine Realität hat? Das Erleben, daß Fühlen ist in jedem Falle nicht materiell.
Der Reizbarkeits-Organismus
Die Seele ist ein vollständiger überphysischer Organismus, der aus einer „Stofflichkeit“ oder Substantialität besteht, die im Fachausdruck „astralisch“ genannt wird, was man mit „sternenhaft“, „sternenartig“ oder „sternenverwandt“ übersetzen kann. Seine Substantialität ist Reizbarkeit. Wie der physische Leib aus Stoffen und Kräften der physischen Welt besteht, so ist die Seele aus verschiedenen Reizbarkeiten zusammengesetzt. Affizierbarkeit ist ihre Natur. Jeder Reiz ruft bei ihr eine Reaktion hervor. Affiziert oder erregt wird sie z. B. durch die Vorgänge des Stoffwechsels, denn jeder Sinnesreiz ist eine partielle Vernichtung von Leibessubstanz. Das Ganze spielt sich auf feinster, molekularer Ebene ab. So ist auch das leiseste Tasten mit dem Finger eine ganz, ganz feine Zerstörung gewisser Stoffpartien, die sofort wieder nachgeschaffen werden müssen. Und dieser Prozeß des Nachschaffens, der Stoffbildung, erzeugt die Empfindung in der Seele, in unserem Bewußtsein. Auf diese Weise wird jeder Sinnesreiz in der Seele zu einer Empfindung, welche augenblicklich das Denken auslöst, so daß durch den Gedanken die Empfindung bzw. die Wahrnehmung aus der sie resultiert, verstanden, erkannt werden kann. Der Übergang vom Körperlich-Materiellen zum Überphysischen liegt also schon dort, wo der durch die Wahrnehmung vernichtete Stoff nachgeschaffen wird. Dieses Nachschaffen ist bereits ein ätherischer Vorgang, ein immaterieller Lebensprozeß, der dann in der Seele wirkt und damit astralisch wird. Durch den erklärenden Gedanken wird die Wahrnehmung erkannt und geht in dieser Form in die höchste Substantialität über, in den Geist.
Vermittler zwischen Geist und Leib
Die Seele vermittelt zwischen Leib und Geist indem sie die Vorgänge sowohl des Leibes als auch des Geistes spiegelt. Sie ist das Bewußtsein, welches weder der Leib noch der Geist besitzen. Der Geist in Form unseres „Ich“ erlebt in der Seele die Wahrnehmungen des Leibes in Form der Empfindungen. Ebenso erlebt unser Ich die Gedanken, welche die Wahrnehmung in Form der Empfindungen erklären und erlebt die Erkenntnis. Dazu erlebt unser Geist auch sich selbst, nämlich wie er sich mit der Erkenntnis durchdringt und wie diese zu seinem ganzen Wesen paßt. Er schaut – von der Erkenntnis erfüllt – in den Spiegel der Seele, das Bewußtsein, und entwickelt daran ein Erkennen seiner selbst, das Selbstbewußtsein. In dieser Selbsterkenntnis aber geht ihm auf, wie die jeweilige Erkenntnis zu ihm paßt, ob sie ihn fördert oder hindert, ob sie ihm sympathisch oder antipathisch ist. Dies äußert sich im Gefühl. Denn das Gefühl ist eine Wahrnehmung des eigenen Ich, eine Selbstwahrnehmung. Und an diese ist der Wille geknüpft in einer Region der Seele, die man „das Gemüt“ nennt. Das Gemüt ist der Mut-Sinn, die Willens-Ermittlungs-Stelle, die Schleuse für die Tatkraft. Je nachdem ob mein Gefühl sympathisch oder antipathisch ist, werde ich mich zu dem erkannten Objekt verhalten.
Sofern das Verhalten eine Tat erfordert, entwickelt der Geist zusammen mit der Seele Vorstellungen von der Tat und schaut diese Entwürfe im Spiegel der Seele an. Wenn die vorgestellte Handlung dem Erkannten angemessen zu sein scheint, fließt der Wille in den physischen Leib, um die Tat auszuführen. Dabei bleibt der Wille selbst gänzlich unbewußt. Er ist die eigentliche Kraft zur Tat. Der Mensch weiß zwar daß – und was er will, kann aber den Willen selbst nicht wahrnehmen. Er kann ihn nur denken.
Der Ort der Aufmerksamkeit
Die Seele lebt in und um den Leib des Menschen. Sie durchdringt ihn überall dort, wo man den Leib empfinden – wie man sagt – fühlen kann. Aber sie bewegt sich auch außerhalb des Leibes. Im Ruhezustand bildet sie eine Aura um den Leib, bewegt sich aber immer mit einigen ihrer Organe an den Ort unserer Aufmerksamkeit. Schaue ich auf meinen Bildschirm, dann ist dieser Seelenteil dort. Schaue ich an den Horizont, so ist sie dort. Zusammen mit dem noch beweglicheren Ich oder Geist des Menschen taucht sie in alle Objekte unserer Aufmerksamkeit ein. Sie ist selbst nicht räumlich-zeitlich und hat nicht die Probleme, welche der Leib hätte, wollte er sich stets in die Objekte der Aufmerksamkeit hinein bewegen. Seele und Geist sind also immer in den Objekten unserer Wahrnehmung und tragen ihre Erlebnisse hinein in den Leib und jenen Teil der Seele, welcher den Spiegel des Bewußtseins bildet.
Außerhalb des Leibes im Schlaf
Während des Schlafes hebt sich die Seele zusammen mit dem Geist fast vollkommen aus dem Leib heraus und geht gewissermaßen in ihre kosmischen Heimatregionen zurück, um sich mit regenerativen Kräften zu durchsetzen. Die Folge davon ist allen bekannt: Der Schlafende hat kein Bewußtsein – also keine Seele und keine Gedanken und Wollungen – also keinen Geist. Im Bett liegt sein verlassener Leib, der lediglich von seinem Lebensleib noch durchsetzt ist. Er lebt. Die gewöhnlichen Träume entstehen an den Übergängen, wenn Seele und Geist beginnen sich wiederum mit dem Leib zu vereinen.
Aus den Erkenntnissen der Wissenschaft des Geistes heraus ist es wenig sinnvoll, seelische „Krankheiten“ als Nervenkrankheiten anzusehen, denn die Nerven bilden – wie erwähnt – die seelischen Prozesse lediglich ab, sie erzeugen sie nicht. Natürlich sind diese Abbildungen unverzichtbar für den Menschen, nur sind sie nicht die Gefühle oder Empfindungen selbst.